Nicht auf Unabhängigkeit pochen, um Konsumentenschutz nicht wieder gegen uns aufzubringen!
Knapp vor dem Jahreswechsel gab die EU-Kommission bekannt, dass „die Diskussion um ein Provisionsverbot keineswegs beendet“ sei. Und auch die Chefin der Europäischen Wertpapieraufsicht ESMA will weiterhin ein generelles Provisionsverbot.
Aufgrund welcher Argumente die EU Behörden das Provisionsverbot fordern, sehen wir uns unten näher an.
Das tiefliegende Problem: Was die EU jetzt bei der MiFID-Überarbeitung (Wertpapiere) durchsetzt, droht via „copy and paste“ 1:1 auch bei der IDD-Überarbeitung (Versicherungsverkauf) kommen. Einmal mühsam und langwierig im Trilog – Dialog zwischen EU Parlament, EU Kommission und EU Rat – erarbeitete Kompromisse werden dann auf andere Richtlinien eingesetzt.
Und täglich grüßt das Murmeltier…
Wer sich an den Film mit diesem Titel erinnern kann, wird sich wohl auch daran erinnern, dass die EU in den langen Verhandlungen zur aktuell gültigen IDD einen Kommissionsvorschlag für ein Provisionsverbot forciert hatte. Dies auf Drängen von Konsumentenschützern, die immer wieder argumentierten, dass der Kunde nicht wüsste, dass auch der Makler vom Versicherer Provisionen erhalten würde, der Begriff also falsche Vorstellungen wecken würde, usw. usf.
Die EU-Kommission hatte sich damals monatelang in den Begriff „unabhängig“ verbissen und es drohte lange Zeit: Wer sich als unabhängig bezeichnen möchte, der sollte keine Provisionen erhalten dürfen oder diese zumindest offenlegen müssen.
Damals wie heute hat sich der IMCO-Ausschuss des Europäischen Parlaments (Ausschuss für Binnenmarkt und Konsumentenschutz) sehr stark dem Schutz der Konsumenten verschrieben. Und forderte bereits damals lange ein Provisionsverbot, das nur knapp abgewendet werden konnte. Überhaupt hat sich das EU-Parlament in den letzten Jahren als sehr konsumentenorientiert gezeigt, womit schon 2 der 3 gesetzgebenden EU-Institutionen eher konsumentenfreundlich sind. Wie der Gesetzgebungsprozess („Trilog“) in der EU abläuft, erklären wir unten.
Aus dieser Erfahrung heraus haben wir uns schon damals – also vor rund 10 Jahren – dafür ausgesprochen, dass man sich in der Maklerschaft nicht auf den Begriff der „Unabhängigkeit“ versteifen, sondern eher den Begriff „ungebunden“ verwenden sollte.
Wir haben zuletzt mehrmals darüber berichtet, dass Makler mit der Unabhängigkeit Werbung machen, z.B. hier:
https://ivva.at/erfuellt-durchblicker-die-vorgaben-werbung-mit-unabhaengig-marktvergleich-nl-31-22/
Und jetzt stehen wir wieder vor dem gleichen Problem, dass ein Provisionsverbot droht.
Hintergrund: Zwar wurde die Überarbeitung der IDD angesichts der vielen aktuellen Krisen auf 2024 verschoben. Die EU hat mit Epidemie und damit verbundener Wirtschaftskrise, Inflation, Russland-Einmarsch in Ukraine und damit verbundener Energie-Krise, etc. offensichtlich genug zu tun.
Aber sehr wohl wird aktuell auf Europäischer Ebene die MiFID-2, als die Rahmenbedingung für den Vertrieb von Wertpapieren, „reviewed“, also überprüft, ob die Ziele erreicht wurden.
Hier haben sich die Europäischen Institutionen bereits stark für ein Provisions-Verbot ausgesprochen. Und wer die Entstehung von EU-Richtlinien die letzten Jahre genauer verfolgt hat, wird erkennen, dass man „Ideen“ und „hart errungene Kompromisse“ – immerhin dauert der Gesetzwerdungsprozess mitunter jahrelang im Trilog zwischen EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament – oftmals nach dem Prinzip „copy und paste“ 1:1 auch bei anderen Richtlinien umsetzt.
Wenn also das Provisionsverbot im Wertpapierbereich kommen sollte, dann droht dies auch im Versicherungsbereich, also in der IDD 2 umgesetzt zu werden. Daher müssen wir schon jetzt ganz besonders darauf achten, was im Zuge der MiFID-Überarbeitung passiert und stark unsere Sichtweise einbringen. Auch wenn es scheinbar gar nicht um unsere Branche geht…
Wie der Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene abläuft haben wir hier erklärt…
Und wie sieht es 2023 aus?
> Verena Ross, Chefin ESMA: „Es ist nicht damit getan, Provisionen offenzulegen, um mehr Transparenz zu schaffen.“
> EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness „prüft mögliches Provisionsverbot in der Anlageberatung“.
Das erste Zitat oben stammt aus einem Interview, das FondsProfessionell Ende November mit Verena Ross führte, die seit einem Jahr die Leitung der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA innehat. Sie sieht – wie ihr Vorgänger Steven Maijoor – Provisionen kritisch – und drängt auf ein EU-weites Verbot.
Im Interview berichtete sie von einer Studie der EU-Kommission und deren Ergebnisse, die zeigen würden, dass „es nicht damit getan ist, Provisionen offenzulegen, um mehr Transparenz zu schaffen“. Und die Studie hätte gezeigt, „dass Finanzprodukte in Ländern, in denen es ein Provisionsverbot gibt, für Kleinanleger günstiger sind“.
Das zweite Zitat stammt aus einem Brief, den Finanzmarktkommissarin McGuinness an den Europaabgeordneten Markus Ferber geschrieben hatte, aus dem die Börsen-Zeitung bzw. das FondsProfessionell zum Jahreswechsel zitierten.
So würde die EU-Kommission im Zuge ihrer sogenannten Retail-Investment-Strategie ein mögliches Provisionsverbot in der Anlageberatung prüfen. Ihre Vorschläge sollen im ersten Quartal 2023 veröffentlicht werden.
Die Kommissarin berichtete davon, dass die bisherigen Mifid-2-Regeln nicht zu einer stärkeren Etablierung der unabhängigen Anlageberatung geführt hätten. Stattdessen würden Privatanlegern oft überteuerte Produkte verkauft. Der Preisaufschlag zu billigeren Alternativen sei im Durchschnitt rund 35%, zitierte McGuinness, Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion in der EU-Kommission laut FondsProfessionell.
Mehr Transparenz reicht der Kommissarin wohl nicht
Die Kommissarin erwähnt Niederlande und Großbritannien, „wo das Zuwendungsverbot zu sinkenden Produktkosten und zu einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis für Anleger geführt habe“.
Und sie kommt zum Schluss, dass ein mehr an Transparenz die Situation nicht verbessern würde, weil viele Verbraucher nicht verstehen würden, welche Folge die Zuwendungen für die Berater auf die Performance hätten. Soweit die Sichtweise der EU-Institutionen zum Thema Provisionen.
Damals wie heute gilt, Kräfte zu bündeln und gemeinsam gegen Provisionsverbot und Provisionsoffenlegung – gegenüber der EU-Kommission und den diversen Ausschüssen – vorzugehen! Aber: Wenn Makler weiterhin ausdrücklich mit der Unabhängigkeit werben (siehe unsere letzten Beiträge zu den Fragen zu Durchblicker (hier und hier und hier), dann erscheint uns das nicht schlau zu sein. Denn es wäre „Wasser auf den Mühlen“ der EU-Kommission und Konsumentenschützer, die sowieso schon „ewig fordern“, Provisionen abzuschaffen.
Beste Grüße vom IVVA Team und RA Mag. Novotny
Quellen: FondsProfessionell, Webseite EU-Parlament, Webseite ESMA
Links zum Weiterlesen:
https://www.fondsprofessionell.at/news/vertrieb/headline/esma-chefin-generelles-provisionsverbot-weiter-diskutieren-220358/
https://ivva.at/erfuellt-durchblicker-die-vorgaben-werbung-mit-unabhaengig-marktvergleich-nl-31-22/
https://ivva.at/zu-spaete-offenlegung-dass-man-als-makler-taetig-wird-nl-32-22/
https://ivva.at/eu-kommission-fuer-offenlegung-der-provisionen/
https://ivva.at/darf-provisionsoffenlegung-eine-alternative-zum-provisionsverbot-sein/
https://ivva.at/aktuelles-zu-imd-2-der-neuen-versicherungsvermittler-richtlinie/
https://ivva.at/offenlegung-provisionen-u-boni-eu-arbeitet-an-einer-neuen-versicherungsvermittlerrichtlinie/
https://ivva.at/europaeisches-parlament-seine-zusammensetzung-seine-kompetenzen-nl-2617/ https://ivva.at/idd-verschiebung-wer-entscheidet-wirklich-in-der-eu-nl-2517/
Sollten Sie noch keinen Anwalt haben: Mag. Stephan Novotny, ein auf Versicherungs- und Datenschutzrecht spezialisierter Fachanwalt steht gerne zur Verfügung, für IVVA Mitglieder sogar zum Spezialpreis.
RA Mag. Stephan Novotny
1010 Wien, Landesgerichtsstraße 16 / 12