Helvetia: Wie vertragen sich Millionen-Papier-Seiten mit dem Nachhaltigkeitsgedanken? (NL 8b/24)

Werner Panhauser, Vorstand Helvetia, Foto beigestellt

Im Interview mit Werner Panhauser, Vorstand für Vertrieb und Marketing bei der Helvetia Versicherungen AG erfahren wir, wie es der Helvetia im Vorjahr gegangen ist und wie man etwa Inflation, Krisen, aber auch Umweltereignisse verkraftet hat.
Auch das Produzieren und Versenden von hunderttausenden Seiten Papier im Monat war Thema. Ist das alternative Versenden von Polizzen via E-mail eine gute Alternative?
Was hält VST Panhauser vom „zwangsweisen“ Einsammeln von E-mail-Adressen? Könnte das auch bei der Helvetia vorkommen?

IVVA: Ich freue mich, dass Sie sich wieder die Zeit nehmen, um mit dem IVVA über aktuelle Themen und Neuheiten zu sprechen. Meine Standardfrage zu Beginn: Wie war das Jahr 2023? Wie geht man mit für uns unbekannt hoher Inflation, mit den ständigen Krisen (Ukraine-Krieg, Energiekrise, etc.) als Unternehmer, als Versicherer um?

VST Panhauser: Fakt ist, dass es noch nie ein so großer Aufwand war, ein Unternehmen zu steuern und auf die verschiedensten Krisen zu reagieren.

Natürlich macht uns als Versicherer auch die Inflation Sorgen. Nehmen Sie die Reparatur-Kosten her. Vor kurzem sandte ein Autokonzern aus, dass künftig eine Mechaniker-Stunde 205 Euro netto kostet. Bei einem anderen sogar 245 Euro netto.

IVVA: Zumal die Kunden in den letzten Jahren gewohnt waren, dass die Inflation und damit die Kosten nur um 1-2 Prozent gestiegen waren.

Panhauser: Genau. Inflation tut den Kunden natürlich auch weh, das kann ich verstehen. Aber als Versicherer habe ich keine Wahl: Wir müssen die Indexsteigerungen durchführen, um unsere gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Zwar kommen schon immer wieder mal Fragen zum Thema „Erhöhungen“, ich denke aber, dass es keine „groben Verständnisprobleme“ gibt, weil unsere Berater den Kunden diese schwierige Lage gut erklären.

IVVA: Zurück zur Frage: Wie schätzen Sie das Jahr 2023 ein?

Panhauser: Wenn im August 2023 die Steiermark nicht so heftig von Unwettern getroffen worden wäre, dann wäre es ein gutes Jahr geworden. So wird es zwar ein positives Ergebnis geben, aber kein Rekordjahr. Aber angesichts der vielen Krisen muss man doch bilanzieren: Es war ein gutes Jahr.

IVVA: Neues Thema: Nachhaltigkeit, ESG wird von der EU heftig forciert. Mir fällt dazu ein gemeinsamer Event ein, der „AFPA-Europadialog“, der 2013 stattfand.
Damals rechneten Sie der Leiterin der Konsumentenschutz-Abteilung der EIOPA (also der Europäischen Versicherungsaufsicht) Mag.a Würtz vor, dass Ihre Berater monatlich 1,2 Mio. Seiten Papier den Kunden übergeben müssen, dies grossteils aufgrund der gesetzlichen Auflagen. Das war damals wohl nicht sehr nachhaltig. Wie schaut das heute aus?

Panhauser: Da haben Sie völlig Recht.
Die Berechnung stimmt sicher noch, wahrscheinlich schneiden wir noch erheblich mehr Bäume um, als damals.  Zum Erinnern, ein Lebensversicherungs-Antrag hatte 1989 noch zwei A4-Seiten umfasst. 2013 beim AFPA-Europadialog bezog sich meine Papier-/Baum-Berechnung auf Anträge, die 39 Seiten hatten. Ein Umstand, den auch Mag.a Würtz damals als „schrecklich“ bezeichnete.

IVVA: Wie viele Seiten hat ein Antrag heute im Durchschnitt?

Panhauser: Geschätzte 60- 70.
Aber besonders verschärft hat sich dieses Problem dadurch, dass wir in den letzten 15 Jahren das Neugeschäft verzwölffacht haben.

IVVA: Haben Sie ein paar weitere Zahlen für mich?

Panhauser: Ja, zum Jahresende haben wir zahlreiche Analysen laufen lassen und ich kann berichten: Mit 600 Mio. Bestand und 650.000 Kunden hat sich die Helvetia – auch durch den Basler-Zukauf – sicher in den Jahren seit 2013 verdoppelt.
Meine damalige Papier-Berechnung ist auch heute noch gültig. Aber ziemlich sicher schneiden wir noch mehr Bäume um, als damals. Zwar haben wir schon eine fünfstellige Zahl an Kunden auf Online-Zustellung umgestellt, aber keinesfalls in dem Ausmaß, wie wir Neu-Kunden dazu bekommen haben.

IVVA: D.h. dass für den gesamten Versicherungsmarkt ganze Wälder umgeschnitten werden, um die Informationspflichten den Kunden gegenüber zu erfüllen.

Panhauser: Ja genau. Wir sind ein mittelgroßer Versicherer, aktuell die Nummer 8 im Markt und haben schon solche Papiermengen. Nehmen Sie die „Großen 4“ her oder sogar den gesamten Markt. Dann könnte man sich ausrechnen, wie viel Bäume aktuell gefällt werden müssen, um die Polizzen den Kunden zur Verfügung zu stellen, in die wahrscheinlich die meisten nie reinschauen.

IVVA: Ist Ihre jährliche Initiative für die Aufforstung und Pflege heimischer Schutzwälder auch in diesem Zusammenhang zu sehen?

Panhauser: Schon auch. Immerhin haben wir seit 2013 145.000 Jungbäume in heimischen Schutzwäldern wieder aufgepflanzt, Großteils in Kooperation mit den Österreichischen Bundesforsten. Damit haben wir auch einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Elementarschäden geleistet.

IVVA: Sie sprachen zuvor von „Online-Zusendung“. Sie meinen damit die Zusendung per E-Mail, um Papier zu sparen?

Panhauser: Wir setzen das Projekt „Mydocs“ mit dem Ziel der Papier-Reduktion um. Von der „Entstehung“ am Point of sale bis zur Polizze und dann zur Zustellung zum Kunden, alles kann papierlos funktionieren. Um eben zu vermeiden, dass wir 100 Seiten-Polizzen an Millionen Kunden senden müssen.

IVVA: Setzt aber voraus, dass der Kunde zumindest einen Computer und eine E-Mail-Adresse hat.

Panhauser: Genau. Aber es gibt aktuell den politischen Willen, das zu forcieren, d.h. man stellt die digitale Zustellung der postalischen Zustellung gleich.
Wenn Jemand eine E-Mail-Adresse hat, dann kann man davon ausgehen, dass er Dokumente auch online empfängt. Das ist dann juristisch „gleichwertig“. Und spart Tonnen an Papier ein.

IVVA: Wie kommt das in der Praxis an?

Panhauser: Bei unseren Kunden kommt das sehr gut an. Bei manchen Beratern gibt es ein wenig Vorbehalte.

IVVA: Diese Vorbehalte entstehen wahrscheinlich dadurch, dass andere Versicherer E-Mail-Adressen „mit der Brechstange“ sammeln, also die Polizzierung von Anträgen verweigern, wenn nicht auch eine E-Mail-Adresse und Handy-Nummer des Kunden bekannt gegeben werden.

Panhauser: Also bei Helvetia wird sicher nichts mit der Brechstange umgesetzt. Wir sehen aber die positiven Umweltauswirkungen dieser Versende-Praxis und nützen dies.

IVVA: Ich kann mir aber vorstellen, dass manch ein Vermittler denkt, wer weiß, ob der Versicherer dann nicht nur die fertige Polizze an den Kunden sendet, sondern womöglich mit dem Kunden direkt Kontakt aufnehmen will.
Und dass das nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, zeigt ein Fall, den der IVVA vor etwa 2 Jahren aufgedeckt hat. Damals hatte ein Versicherer ein Mail an Kunden gesandt, angeblich im Namen des Agenten, in dem er aufforderte in das Kundenportal einzusteigen und die fehlende Telefon-Nummer einzugeben.

Da kann man wohl schon gewisse Vorbehalte haben, wenn ein anderer Versicherer ebenso nach der E-Mail-Adresse der Kunden fragt.

Übrigens: Den Fall und die Antwort von RA Mag. Novotny zu diesem Identitätsdiebstahl kann man hier nachlesen…

Panhauser: Also wenn man solche Schilderungen hört, dann kann man verstehen, dass vorsichtige Vermittler Bedenken äußern, wenn wir E-Mail-Adressen sammeln. Aber ich kann hier als Vorstand der Helvetia Ihnen und Ihren Lesern versichern: Wir haben noch nie mit Kunden ohne vorherige Zustimmung des Vermittlers Kontakt aufgenommen. Und werden das auch nicht tun. Schon gar nicht gegen den Wunsch des Vermittlers.

IVVA: Glauben Sie, reicht das, um vorhandene Ängste abzubauen?

Panhauser: Ich hoffe schon. Auf jeden Fall werden wir das immer wieder kommunizieren. Auch die Vorteile für die Umwelt, aber auch das „Börserl“. Denn die Post verfolgt ein interessantes Geschäftsmodell. Je tiefer die Briefzahl sinkt, umso höher wird die Porto-Gebühr. Also je mehr Briefe wir einsparen, umso teurer wird unsere Post-Rechnung.

IVVA: Wieviel macht die Postgebühr pro Jahr für einen mittelgroßen Versicherer aus?

Diese Antwort liefern wir Ihnen im 2. Teil des Interviews, in dem wir auch erfahren,
– wie Helvetia Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen umsetzt,
– ob es bei der täglichen IDD-Umsetzung Unklarheiten oder Probleme gab,
– ob Helvetia alle Beratungsprotokolle sehen will oder nur anlassbezogen und stichprobenhaft überprüft,
– was die FMA unter passiver Monitoring-Pflicht versteht,
Beratungsprotokoll als Rettungsanker für Agenten, Vermittler,
– warum Helvetia die Agenten – korrekterweise – als Datenverantwortliche und nicht als weisungsgebundene Auftragsverarbeiter einstuft,
– wie sich Helvetia auf DORA vorbereitet und wieso dieser „Digital Operational Resilience Act“ auch die Vermittler treffen wird,
– wie es Helvetia hinsichtlich Nachwuchs/Nachfolge geht,
– wie sich der Agenturvertrieb entwickelt hat und warum Helvetia für Agenten attraktiv ist

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