Interview mit Mag.a Birgit Eder, Vorstandsvorsitzende der ARAG Versicherung
Vorige Woche erfuhren wir von ARAG, wie man selbst durch die Corona-Krise kommt und was man alles tut, um Kunden, aber auch Vermittler durch die Krise zu helfen. Wie sich alle Beteiligten mit den digitalen Tools tun. Welche News es betreffend Produkte und Services gibt.
Heute sehen wir uns die tägliche Umsetzung der IDD näher an: Zielmarkt-Definition und Kontrolle, Vorgehen betreffend Beratungsprotokoll, Fehlberatung, Freibeweisen. Formvorschriften laut Standesregeln. Weiterbildungspflichten. Digitalisierung, gläserner Akt. Kann man komplexe Produkte rein digital verkaufen oder brauchen sie kompetente Beratung?
IVVA: Neues Thema: IDD: Wie geht es Ihnen mit der täglichen Umsetzung der IDD? Gab es hier irgendwelche Probleme, Unklarheiten im letzten Jahr?
Mag.a Eder, ARAG: Die IDD hat uns vor neue Herausforderungen gestellt, die wir jedoch als Chance begreifen. Wir haben, obwohl die Umsetzung auf sich warten ließ, stets zeitnah versucht bereits die europäischen und dann die nationalen Vorgaben umzusetzen.
Es wurden umfangreiche Schulungspläne für unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erstellt, bzw. ausgebaut.
IVVA: Detail-Frage: Wie kommunizieren Sie den Zielmarkt? Wie und wie oft prüfen Sie, ob der Agent den vorgegebenen Zielmarkt eingehalten hat?
Mag.a Eder, ARAG: Entsprechende Zielmarktdefinitionen wurden vorgenommen und an alle unsere Vertriebspartner verschickt. Wir konnten daher alles zeitgerecht umsetzen. Auch unsere Produktinformationsblätter waren rechtzeitig fertig und stehen unter anderem auf unserer Homepage zur Verfügung. https://www.arag.at/fuer-vertriebspartner/dokumentencenter/
Die Produktinformationsblätter haben wir nun auch in unseren Anträgen integriert, sodass diese beim Vertragsabschluss stets zur Hand sind.
IVVA: Verlangen Sie bei Verdacht, Anlass-Bezogen das Beratungsprotokoll oder öfter? Manche Versicherer verlangen die Vorlage bzw. das Einspielen ALLER Beratungsprotokolle ins Portal, obwohl die FMA diese Sicht – auf IVVA Anfrage – nicht versteht („Keine Vorgabe von uns“). Wie handhaben Sie dieses Thema, das bei den Vermittlern für große Unruhe sorgt?
Mag.a Eder, ARAG: Die ARAG verlangt keine automatische Vorlage des Beratungsprotokolls. Wir sehen uns auch nicht in der Verantwortung das Vorhandenseins eines Beratungsprotokolls zu kontrollieren. Das obliegt alleine den Behörden.
Sollte jedoch im Einzelfall einmal der Vorwurf im Raum stehen, ein konkreter Vermittler habe außerhalb des Zielmarktes agiert, müssen wir dem nachgehen. Ebenso bei einem Haftungsvorwurf des Kunden gegen den Vermittler wegen Falschberatung. Ein solcher Rechtsstreit ist grundsätzlich im Vertragsrechtsschutz versichert. Wir versuchen in so einem Fall zu vermitteln, bevor ein Rechtsanwalt eingeschaltet wird. Dabei ist das Beratungsprotokoll ein wichtiges Beweisstück, was in den meisten Fällen zu einer Streitbeilegung führt. Auf diese Weise haben wir schon einige unnötige Gerichtsverfahren gegen Vermittler verhindern können.
IVVA: Prüfen Sie die Formvorschriften laut Standesregeln (Offenlegung Identität, GISA-Eintrag, usw.) sowie die Dokumentationspflichten? Wünsche- und Bedürfnistest? Beratungsprotokoll, etc. Stichprobenartig oder nur bei Anlassfällen?
Mag.a Eder, ARAG: Bei neuen Courtageanträgen prüfen wir selbstverständlich unter anderem auch den GISA-Eintrag. Die Überwachung der Einhaltung der Verpflichtungen der IDD fällt jedoch unserer Ansicht nach in den Zuständigkeitsbereich der Bezirksverwaltungsbehörden. Eine aktive Kontrolle durch ARAG ist daher nicht vorgesehen. Würden uns allerdings Verstöße des Vermittlers gegen die Regelungen der GewO passiv zur Kenntnis gelangen, dürfen wir diese nicht ignorieren.
IVVA: Wie würden Sie die Ergebnisse der diversen Überprüfungen einschätzen?
Mag.a Eder, ARAG: Unserer Wahrnehmung nach nehmen die Agenten Ihre Verpflichtungen aus der IDD-Gesetzgebung sehr ernst. Wir bekommen sehr häufig unaufgefordert Beratungsprotokolle, aus denen die Durchführung einer ordnungsgemäßen Bedürfnisanalyse des Kunden gut hervor geht. Bei einem vom Kunden behaupteten Haftungsfall des Vermittlers fordern wir das Beratungsprotokoll an, um vor einer Eskalation streitschlichtend eingreifen zu können. Bislang hatten wir noch keinen Anlassfall, bei dem wir eine aktive Überprüfung vornehmen mussten.
IVVA: Prüfen Sie die jährliche Erfüllung der Weiterbildungspflichten?
Bieten Sie selbst Schulungen, Webinare, etc. an, um Vermittlern beim „Sammeln“ der erforderlichen Stunden zu unterstützen? Setzen Sie Corona-bedingt nun verstärkt auf Webinare, da die Präsenz-Trainings wohl noch länger nicht in normaler Art und Weise abgewickelt werden dürfen?
Mag.a Eder, ARAG: Die Prüfung der Weiterbildungspflicht obliegt dem Vertriebspartner selbst. Wir möchten jedoch bei deren Erfüllung Unterstützung bieten. Wir haben für unsere Vertriebspartner seit März 2020 43 Webinare zu verschiedenen Rechtsschutzthemen abgehalten – insgesamt haben rund 9.000 Personen dieses Angebot genutzt. Ein großartiger Erfolg für unsere Ausbildungsreihe und eine gute Möglichkeit für unsere Vertriebspartner ihren IDD-Verpflichtungen nachzukommen. Webinare wurden bereits vor Corona angeboten, aber haben wir das Angebot nochmals erweitert. Das Interesse ist ungebrochen hoch und sprengt die Teilnehmerzahl regelmäßig die 400-Marke pro Webinar.
IVVA: Kommen wir zum Thema Digitalisierung. Die EU hat heuer mehrere Konsultationen zur Digitalisierung abgewickelt. Ziel ist es offensichtlich, das „Marktpotential“ für FinTechs und InsureTechs zu erhöhen. Manche reden schon davon, dass Daten das Gold des 21. Jahrhunderts sind. Wie sinnvoll kann es sein, Algorithmen im Verborgenen etwa über die Vergabe von Krediten oder die richtige Versicherung entscheiden zu lassen?
Und: Lassen sich komplexe Produkte überhaupt kompetent online verkaufen? Bekommt der Kunde dann wirklich das „richtige“ Produkt und nicht nur das billigste?
Mag.a Eder, ARAG: Auch bei uns ist die Digitalisierung ein wichtiges Thema. Wir sind der Meinung, dass Rechtsschutz ein komplexes Produkt ist und es daher immer eine gute Beratung braucht. Ein Grundpaket lässt sich online verkaufen, das ist bei uns über die Website auch schon möglich, aber individuelle Lösungen erfordern stets individuelle Beratung. Aber vor allem im Servicebereich wollen wir mit digitalen Tools einfache und komfortable Lösungen für unsere Kunden und Vermittler anbieten.
IVVA: Haben Sie da ein paar Beispiele für unsere Leser?
Mag.a Eder, ARAG: Unser Angebot an Online-Services war schon vor Corona groß, aber wir haben es in der Krise noch ausgebaut. Anlaufpunkt für viele unserer Online Services ist unsere Homepage. Auf der man sich über alle Produkte und Services informieren kann. Online möglich sind etwa:
- Abschluss eines Vertrages (Express-RS)
- Berechnung von Flugverspätungen
- Berechnung von Reisepreisminderungsansprüchen
- Änderung aller möglicher Daten (Adresse, Kennzeichen, Bankdaten, etc.)
- Download der ARAG Wallet Card
- Zugang zum ARAG Online-Rechtsservice, wo über 1000 rechtliche geprüfte Musterdokumente zum Download bereitstehen (Mietvertrag, Testament, Patientenverfügung, etc.)
- Schadenmeldung online machen
- ARAG Digitales Inkassoportal für Firmenkunden.
- Webinare für Vertriebspartner (deren Angebot haben wir deutliche erhöht. Hier werden Produkte und teils komplexe Rechtsfragen einfach, anschaulich und praxisnah erklärt).
Mitten in den Lockdown fiel der Start unseres Instagram-Accounts. Ein neuer Kanal, um Kunden und Vertriebspartner zu erreichen. Hier gibt es Infos über Services und Produkte, Einblicke hinter die Kulissen und interessante rechtliche Infos – alles mit einem Augenzwinkern.
Seit wenigen Wochen sind wir auch auf LinkedIn präsent.
IVVA: Auf Ihrer Webseite fand ich den Begriff „Gläsener Akt“: Die Vermittler können sich darin alle Versicherungsverträge der Kunden im Detail ansehen. Dort steht zwar, dass man sich den „Maklerdatensatz“ herunterladen könne. Gehe ich aber zu Recht davon aus, dass das für alle Vermittler, also auch unsere Agenten gilt? Worin bestehen die Vorteile dieses gläsernen Aktes und wie gut wird das angenommen?
Mag.a Eder, ARAG: Der „Glasakt“ bietet allen unseren Vermittlern die Möglichkeit in Versicherungsverträge seiner Kunden Einsicht zu nehmen bzw. sich den OMDS 2.0 herunterzuladen. Weiters bietet der Glasakt Informationen zu Schadensakten – das sogenannte Schadentracking, Auszahlungen aus dem Akt, Eröffnung und Schließung eines Rechtsschutzfalles, Informationen zu den handelnden Personen und den Mahnstatus eines Vertrages.
IVVA: Kommen wir zu den Vorteilen, die Ihr Haus den Agenten bietet. ARAG hat vorbildliche Agenturverträge. Auch schon zu Zeiten, als es noch nicht das OGH-Urteil über die Sittenwidrigkeit von Provisionsverzichtsklauseln gab. Warum?
Mag.a Eder, ARAG: ARAG hat sich seit Beginn an für eine einzige Vertriebsschiene – den unabhängigen Vertrieb – entschieden. Ein fairer Umgang mit unseren Vertriebspartnern ist uns dabei sehr wichtig. So legen wir auch wert auf faire Agenturverträge und ein partnerschaftliches Miteinander. Wir sind darauf fokussiert unseren Vertriebspartnern jede uns mögliche Unterstützung – sei es bei Verkaufsunterlagen, Informationsseiten im Glasakt oder auf unserer Homepage oder durch ein hervorragendes Schulungsangebot – anzubieten. ARAG bietet im Rechtsschutz Service und Know How auf höchstem Niveau und ist dadurch eine wichtige Stütze für Vertriebspartner im Verkauf.
IVVA: Planen Sie den Agenturvertrieb ausbauen? Suchen Sie weitere Agenten? An wen sollen sich Interessenten wenden?
Mag.a Eder, ARAG: Ja, wir freuen uns immer wieder auf neue Interessenten. Diese können sich an unsere regionalen Vertriebspartner, an unser Service Center oder über die Mail-Adresse offerte@arag.at an uns wenden. Alle Infos dazu gibt es auch auf unserer Homepage www.arag.at.
Im letzten Teil des Interviews sprechen wir über die tägliche Anwendung der DSGVO und Cybersicherheit sowie Nachwuchs- und Nachfolge sowie Solvency 2 und die Auswahlkriterien für Vermittler.