
Ist Diskriminierung nicht eigentlich verboten? Oder muss Gesetzgeber aktiv werden?
In den letzten Wochen kamen Anfragen, die sich unter dem Titel „Senioren-Diskriminierung“ zusammenfassen lassen.
Aktuell liegt uns eine Anfrage vor, die hinterfragt, ob das Verhalten einer bekannten Versicherung wirklich rechtskonform sein könne. Der Vermittler sieht darin eine grobe Benachteiligung seines Kunden und meint: Nein, das könne rechtlich nicht in Ordnung sein, wenn er die Antwort erhält, dass es „jetzt eine Entscheidung des Vorstandes (gibt), dass wir derartige Verträge nicht weiterführen können bzw. reduzieren müssen“.
Der Fall, den wir unten anbei grob beschreiben, scheint uns exemplarisch zu sein für ein bestimmtes Verhalten einiger Versicherer. Der Kunde zahlt jahrelang ein und plötzlich nach Erreichen einer imaginären Altersgrenze, wird ihm mitgeteilt, dass die Leistung stark gekürzt wird oder ein neues teureres Produkt zu wählen ist. Und wenn das dem Kunden nicht passt, dann droht die Kündigung.
Senioren-Diskriminierung ist kein neues Thema, auch wir haben uns schon mehrmals damit beschäftigt. u.a. hier:
https://ivva.at/darf-der-versicherer-einseitig-unfallrente-ausschliessen-leistungen-um-50-kuerzen-nl-35-24/
https://ivva.at/altersdiskriminierung-im-versicherungsbereich-erlaubt-nl-12a-22/
Das Problem wird aber von Jahr zu Jahr größer, weil wir in einer alternden Gesellschaft leben und daher immer mehr unserer Kunden in diese Altersgruppe fallen. Und weil gleichzeitig in unserer Gesellschaft immer mehr Versorgungslücken (aus Budgetgründen?) entstehen.
Für die Kunden bedeutet das, dass in einer Zeit, wo Versorgungslücken bekanntermaßen immer größer werden (zum Erinnern: Patienten flüchten zum privaten Arzt, weil sie sonst wochen-/monatelang auf Termin, MR, Operation warten müssten; Altersarmut – ganz besonders bei Frauen; schwächelndes staatliches Pensionssystem; Existenzbedrohung, wenn die eigene Arbeitskraft ausfällt (weil staatliche Absicherung im Berufsunfähigkeitsfall durch die Reform vor rund 10 Jahren stark reduziert wurde) bzw. wenn jemand in der Familie pflegebedürftig wurde) nun auch die private Vorsorge durch solche Vorgehensweisen der Versicherer geschwächt wird.
Für die Berater ist die Situation ebenso furchtbar, weil sie im Anlassfall wütende Kunden betreuen müssen (Tenor: „jetzt habe ich jahrelang eingezahlt und jetzt soll ich nur noch die halbe Leistung bekommen“) und schlechter abgesichert zurücklassen müssen, weil die Kunden keinen anderen Ausweg haben, als das verschlechterte Anbot der Versicherer anzunehmen. Dem Berater droht der Verlust dieses Kunden. Und das Neu-Kundengeschäft ist dann plötzlich nach einem bestimmten Alter überhaupt unmöglich, weil viele Versicherer für diese Kunden keine oder nur noch extrem teure Produkte anbieten.
Während die Senioren-Diskriminierung im Kreditbereich im Vorjahr gesetzlich verboten wurde, scheint es im Versicherungsbereich dieses Problem weiterhin noch zu geben.
Soweit in aller Kürze die Sachlage.
Kennen Sie auch solche Fälle? Beschreiben Sie uns die Sachlage und senden ein Mail an redaktion@ivva.at.
Wir sammeln solche Fälle, um sie mit Konsumentenschutz, Pensionisten-Vertretern und letztlich mit der verantwortlichen Politik zu diskutieren und auf eine ähnliche gesetzliche Änderung zu drängen, wie sie für den Kreditbereich bereits geschafft wurde.
Doch was sagt der auf Versicherungs- und Datenschutz-Recht spezialisierte Anwalt Mag. Stephan Novotny dazu? Eine erste grobe Einschätzung finden Sie unten anbei.Hier die Überlegungen zum Fall von Mag. Novotny:
Zunächst zur Schilderung des konkreten Falles, der an uns herangetragen wurde. Der Versicherungsvermittler erhielt von der Versicherung folgende Information:
„… zu Unfallversicherungen 75+ mit hohen Summen bzw. Rente gibt es jetzt eine Entscheidung des Vorstandes, dass wir derartige Verträge nicht weiterführen können bzw. reduzieren müssen.
Ich bitte daher um Reduzierung der DI-Summe auf max. 100.000,- und Ausschluss der Unfallrente per 1.6.2025 per Nachtrag. Wenn eine Umsetzung nicht möglich ist, dann müssen wir diesen Vertrag mit Ablauf 1.6.2025 leider beenden.
Bitte um Verständnis“.
Der Versicherungsvermittler kann sich nicht vorstellen, dass die Aussage „der Konzernvorstand hat entschieden“ vor dem Gesetz Bestand hat.
Zunächst einmal zur Rechtslage: Auf EU-Ebene existiert keine Richtlinie, die Diskriminierungen aufgrund des Alters außerhalb des Arbeitsrechts verbietet, da die RL 2000/78/EG (Allgemeiner Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf) nur für den Arbeitsbereich, nicht aber für den Dienstleistungssektor gilt.
Auch im österreichischen Recht fehlt ein solcher ausdrücklicher Schutz. Das VersVG kennt nur einen Schutz gegen Diskriminierung aufgrund von Geschlecht (§ 1c VersVG) und von Behinderung (§ 1d VersVG). Beide wurden durch das VersRÄG 2013 neu eingeführt. Ein Schutz vor Altersdiskriminierung stand damals ebenfalls zur Debatte, wurde aber letztlich nicht mitaufgenommen (vgl. Perner, Schutz vor Diskriminierung im Versicherungsrecht/VersRÄG 2013, S. 716). Auch das österreichische Gleichbehandlungsgesetz erstreckt den Schutz vor Altersdiskriminierung nur auf den Bereich des Arbeitsrechts, nicht aber auf Dienstleistungen.
Folglich darf der Versicherer nach geltender Rechtslage grundsätzlich sehr wohl nach dem Alter des Versicherungsnehmers differenzieren, wenn es um Prämien oder Leistungen geht (vgl. Perner, Schutz vor Diskriminierung im Versicherungsrecht/ VersRÄG 2013, S. 722 f).
Zwar hat der OGH gerade in letzter Zeit mehrere Klauseln wegen Altersdiskriminierung aufgehoben. Diese wurden jedoch nicht aufgrund von Altersdiskriminierung per se aufgehoben, sondern da die jeweiligen Klauseln überraschend und benachteiligend im Sinne des § 864a ABGB waren. Z.B. wurde eine Klausel, wonach statt der Kapitalleistung eine Rentenleistung erbracht wird, wenn die versicherte Person im Zeitpunkt des Unfalls das 75. Lebensjahr bereits vollendet hat, als überraschend und benachteiligend angesehen (OGH, 7 Ob 148/21x). Hier argumentierte der OGH mit einem „Überrumpelungseffekt“ für den Versicherungsnehmer, der mit einer solchen Klausel nicht zu rechnen brauchte. Ebenfalls wurde eine Klausel, wonach sich die Versicherungssummen in der Unfallversicherung ab dem auf die Vollendung des 70. Lebensjahres folgenden Versicherungsjahrs um 30 Prozent reduzieren, als objektiv überraschend und nach § 864a ABGB unwirksam gesehen, da Konsumenten mit einer solchen nachteiligen Klausel nicht zu rechnen brauchen (OGH, 7 Ob 156/20x).
Zusammenfassend ist es also möglich, dass einzelne Klauseln aufgrund eines Überraschungseffekts unzulässig sind; ein umfassendes Verbot einer Altersdiskriminierung besteht nach österreichischem Recht jedoch nicht.
In aller Kürze kann man sagen,
- der OGH hat das Ziehen einer willkürlichen Altersgrenze, die die Reduktion der Versicherungssumme bewirkt, als objektiv überraschend und daher nach § 864a ABGB unwirksam beurteilt, da der VN nicht mit einer solchen Umstellung rechnen muss (OGH, 7 Ob 156/20x).
- Ob eine Klausel unabhängig vom Überraschungseffekt auch gröblich benachteiligend und nach § 879 Abs. 3 ABGB unwirksam ist, ist wahrscheinlich, wurde vom OGH aber noch nicht abschließend beurteilt.
- Zur Frage, ob der Versicherer einseitig die Unfallrente ausschließen kann, müsste man sich die gesamten Bedingungen anschauen.
Jedoch können Unfallversicherungen – anders als Krankenversicherungen – mit Abschluss der laufenden Versicherungsperiode gekündigt werden. Es ist daher leider nicht ungewöhnlich, dass Versicherungen eine Unfallversicherung ab 75 Jahren kündigen.
Insofern besteht leider das Risiko einer Kündigung, wenn man als Kunde oder Versicherungsvermittler diesbezüglich Druck macht bzw. einer Änderung/Reduktion nicht zustimmt.
Daher erscheint es mir sinnvoll, wenn der IVVA weitere Organisationen wie VKI, AK, Pensionistenverbände, etc. ins Boot holt, mit dem Ziel, eine Gesetzesänderung anzustreben;
Soweit RA Mag. Stephan Novotny
Tipp: Was kann man als Vermittler in oben geschilderten Situationen tun?
Auf jeden Fall korrekt aufklären, d.h. darauf hinweisen, was passiert, wenn man 65 oder 70 wird. Um dann später nicht den Ärger der Kunden abzubekommen. Tenor: Sie haben mir dieses Produkt vermittelt, und jetzt habe ich den Ärger…
Und gleichzeitig sollte man aus dieser Problem-Sicht den Markt beobachten und für die Kunden klären, ob diese Altersdiskriminierung bei allen vergleichbaren Produkten und Anbietern eintritt. Vielleicht erkennen einige Versicherer die „Oldies“ als lukrative Zielgruppe und bieten bessere Produkte an, als andere Häuser?
Beste Grüße vom IVVA Team und Mag. Stephan Novotny

RA Mag. Stephan Novotny, Foto: Stephan Huger
RA Mag. Stephan Novotny
1010 Wien, Landesgerichtsstraße 16/12