
Interview mit Mag.a Birgit Eder,
Hauptbevollmächtigte der ARAG SE, Direktion für Österreich
IVVA: Was hat sich bei Ihnen in den letzten Monaten geändert? Wie schaut die Vertriebs-Situation aus? War das (Vor-)jahr ein gutes Jahr für Sie? Wuchsen Sie? Mit der Branche oder sogar stärker?
Mag.a Eder, ARAG: Die ARAG SE, Direktion für Österreich, erreichte am 7.Mai 2024 ein Bestandsprämienvolumen von 100 Millionen € und konnte dadurch die Positionierung als größter Rechtsschutzspezialist in Österreich noch weiter ausbauen. Dies entspricht eine Steigerung von knapp 33 Prozent in den letzten vier Jahren und liegen wir damit deutlich über dem Marktwachstum. Auch 2025 verzeichnen wir wieder ein starkes Wachstum. Per 1.10. haben wir ein Portfolio von 114 Mio. erreicht.
IVVA: Wie sieht die Kundensicht aus?
Mag.a Eder, ARAG: In den letzten vier Jahren haben wir über 200.000 Rechtsschutzfälle bearbeitet. Wir arbeiten tagtäglich daran, unser Leistungsniveau kontinuierlich auszubauen und zu verbessern.
Dabei ist uns eine Sache besonders wichtig: ALLE sollen ihr Recht wahrnehmen können – unabhängig von ihrer finanziellen Situation. So verhelfen wir unseren Kundinnen und Kunden Zugang zum Recht zu erhalten und stehen somit für Chancengleichheit ein. Das neue Zukunftsprogramm ARAG 5➤30 spielt dabei eine Schlüsselrolle. Die fünf zentralen Handlungsfelder reichen von Zielen wie Steigerung von Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit bis zu den großen Herausforderungen der nachhaltigen und digitalen Transformation. Unsere Mitarbeitenden geben jeden Tag ihr Bestes für Kunden und Vertriebspartner.
IVVA: Welchen Anteil am Umsatz haben die Agenten? Die Agenten sind die Vermittlerschiene, die seit Jahren stetig wächst – erst kürzlich wurden mehr als 10.000 aktive Agenten von der WKO gemeldet, merken Sie das auch in den „Produktionszahlen“?
Mag.a Eder, ARAG: ARAG Österreich hat keinen eigenen Außendienst. Wir verkaufen unsere Produkte über den ungebundenen Vertrieb – Makler und Mehrfachagenten. Eine gute Kommunikation mit unseren Vertriebspartnern und ein faires Miteinander ist uns daher ein besonderes Anliegen. Unser Service, Schulungen, Verkaufsunterlagen und unsere IT-Systeme sind vornehmlich auf die Vertriebsschiene ungebundener Vertrieb ausgelegt. Das macht uns erfolgreich und in diese erfolgreiche Zusammenarbeit wollen wir noch weiter investieren. Agenten spielen eine wichtige Rolle in unserem Vertrieb.
IVVA: Nach dem Digitalisierungs-Schub „dank Corona-Pandemie“ steht nun die nächste Revolution bevor, zumindest reden alle von Künstlicher Intelligenz. Wie sehen Sie diese Entwicklung und wie ist hier Ihr Haus aufgestellt?
Mag.a Eder, ARAG: Der Rechtsbereich ist geradezu perfekt für generative KI-Anwendung. Daher ist für uns Künstliche Intelligenz ein bedeutender strategischer Bereich. Wir haben auch bereits mehrere KI-Projekte im Rechtsservice-Bereich gestartet. Bei diesen geht es allerdings nicht um die direkte Interaktion mit Kunden, sondern vielmehr um Effizienz- und Qualitätssteigerungen bei unseren hauseigenen ARAG Juristen. Unser Konzern unterstützt uns dabei mit einer zentralisierten AI-Strategie, viel Know how und Ressourcen.
IVVA: Welche Rolle spielt bereits jetzt die KI und wofür könnte sie in Zukunft noch eingesetzt werden? Haben Sie da praktische Beispiele, damit sich unsere Leser besser vorstellen können, was alles angedacht ist oder sogar schon möglich ist?
Mag.a Eder, ARAG: Künstliche Intelligenz kann in erster Linie sehr gut eingesetzt werden, um Prozesse effizienter zu gestalten und besser zu automatisieren. Gerade in Bereichen, in denen keine strukturieren Daten zur Verfügung stehen, kann die KI Lösungen anbieten. Wir verwenden KI zum Beispiel beim Extrahieren von Texten und Bereitstellung von Daten in strukturierter Form. Weiters im Rechtsservicebereich zum Recherchieren von Judikatur oder zur Bereitstellung von Informationen aus der eigenen Wissensdatenbank.
IVVA: Mag. Novotny sieht hier ähnliche Probleme auf die Vermittler, aber auch Versicherer zukommen, wie wir sie bei der DSGVO hatten.
Als Beispiel nennt er etwa, dass man ChatGPD (oder ähnliche Tools) verwendet und nicht realisiert, dass man damit die Daten der Anfrage / Übersetzung / Applikation dem KI-Anbieter zu Trainingszwecken zur Verfügung stellt. Was Datenschutzbedenken, Geheimhaltungs-/ Urheberrechtsverletzung und somit wieder Haftungen bedeutet. Sind Sie sich dieser Problematiken bewusst und wie wollen Sie hier gegensteuern? Wird es Vorgaben für die Vermittler geben – wie es bei Einführung der DSGVO passiert ist und nötig war?
Mag.a Eder, ARAG: Der Einsatz von ChatGPD ist bei uns nicht erlaubt. Insbesondere wenn man Personendaten oder geheime Firmendaten verwendet, ist besondere Vorsicht anzuraten. Wir haben daher sehr früh Compliance-Vorschriften für die Verwendung von KI-Tools eingeführt und sichere KI-Tools zur Verfügung gestellt. Für Rechtsrecherchen verwenden wir eigenentwickelte Tools, bei denen sogenanntes Halluzinieren der KI praktisch ausgeschlossen ist und beim Ergebnis auch immer die Quellen angezeigt werden. Wir haben unsere Juristen schon sehr früh zum Thema „Richtiger Umgang mit KI“ geschult. Für uns lautet die strenge Devise – es muss immer ein Jurist das KI-Ergebnis kritisch prüfen. Die Complianceanforderungen zu Datenschutz, IT-Sicherheit und bestimmten kritischen Rechtsthemen sind umfangreich, aber notwendig, wenn man sich mit diesem Thema ernsthaft beschäftigen möchte.
IVVA: Fakt ist, dass bei KI-Einsatz die Mitarbeiter bereits jetzt verpflichtend zu schulen sind. Passiert das in Ihrem Haus bereits und trifft das auch auf die Vermittler zu, die mit Ihnen zusammenarbeiten? Wie wollen Sie das überprüfen? Oder sehen Sie Ihre Vermittler als selbständige Unternehmen, die für die Einhaltung der Gesetze alleine zuständig sind?
Mag.a Eder, ARAG: Die Schulung unserer Mitarbeiter übernehmen wir selbst und dokumentieren diese auch regelmäßig. Den KI-Einsatz und die dafür notwendigen Complianceerfordernisse unserer Geschäftspartner können wir nicht überprüfen. Wir verwenden allerdings derzeit auch keine KI in der Kommunikation mit unseren Kunden und Partnern.
IVVA: Fakt ist auch, dass KI „lügen und betrügen, um ans Ziel zu kommen“. Laut einer aktuellen Studie des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) sind Systeme mit Künstlicher Intelligenz (KI) in der Lage, Menschen zu täuschen – selbst wenn sie darauf trainiert wurden, hilfreich und ehrlich zu sein. Außerdem „erfinden KI-Systeme einfach Fakten“ (der Fachausdruck dazu ist „Halluzinieren“). Da die KI diese „Fakten“ so überzeugend formuliert, dass man solche Erfindungen oft nicht erkennt, sehen viele darin ein großes Gefahrenpotential für unsere Gesellschaft, aber auch die Unternehmen, die darauf vertrauen.
Mag.a Eder, ARAG: Diese Gefahren sind uns bewusst. Wenn man die Risiken kennt, kann man allerdings Maßnahmen ergreifen, um diese Gefahren zu begrenzen und im besten Fall ganz auszuschalten. Was in diesen Zeiten sehr wichtig ist für unsere Gesellschaft, ist sich das kritische Denken zu bewahren bzw. diese Fähigkeit noch weiter auszubauen. Diese Awareness trainieren wir bei unseren Juristen laufend insbesondere in Zusammenhang mit der KI-Anwendung.
IVVA: Soll wirklich so eine Technologie im Versicherungsbereich eingesetzt werden, wo es um die Absicherung von existentiellen Risiken geht?
Mag.a Eder, ARAG: Ich denke man kann sich dem Fortschritt nicht verschließen. Es ist aber besondere Vorsicht angesagt. Den Einsatz von KI kann ich dann erst produktiv schalten, wenn sämtliche Risiken beschrieben und geprüft wurden, sowie laufend Kontrollen erfolgen. Damit muss ich neue Prozesse im Unternehmen aufsetzen, die dies gewährleisten. Man muss sich auch der Grenzen der KI bewusst sein und diese richtig einsetzen. Eine Technologie, die noch nicht ausgereift ist, bereits im Frühstadium zu verwenden, davon halte ich nichts.
IVVA: Wie sehen Sie diesen Konflikt zwischen nützlichem Tool und Gefahrenpotential?
Mag.a Eder, ARAG: Wir sehen die Digitalisierung nicht als Konkurrenz für persönlichen Umgang und Beratung, sondern als Ergänzung, die weitere Möglichkeiten schafft.
Organisatorische Dinge können automatisiert werden und damit haben unsere Juristen und Berater/Vermittler mehr Zeit, um sich den Bedürfnissen unserer Kunden und Vertriebspartner zu widmen. Damit werden sowohl auf Versicherer-Seite als auch auf Seiten unserer Vertriebspartner wertvolle Ressourcen frei.
Bei der KI ist es wie bei allen Tools – ob es hilfreich ist, korrekt und auch ethisch eingesetzt wird liegt an den Personen oder dem Unternehmen, die es einsetzen. Automatisierung und KI werden bei uns, auch im Konzernumfeld, sorgsam getestet und integriert. Wir haben einen eigenen internationalen AI-Think Tank, bei dem insbesondere die kritischen Aspekte der KI diskutiert und Handlungsmaßnahmen erarbeitet werden.
KI kann in vielen Bereichen unterstützen – z. B. kann sie Prozesse wie die Polizzierung effektiver machen. Sie kann wiederkehrende Aufgaben übernehmen, sodass den Referenten mehr Zeit für komplexe Fragestellungen bleibt. Wir arbeiten daran, Schnittstellen zu erstellen, beispielsweise mit einem Rechtsinformationssystem, um Zugang zu höchstgerichtlichen Entscheidungen zu erhalten. Es wird im Bereich der Schadenbearbeitung eingesetzt.
Gleichzeitig ist uns bewusst: Recht ist ein sensibles Thema. Persönliche Beratung, menschliches Einfühlungsvermögen und Vertrauen bleiben essenziell. Die Herausforderung besteht darin, die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen, ohne das Persönliche zu verlieren. Wichtig ist es, wie mit jedem Tool, die KI verantwortungsbewusst einzusetzen. Wir gehen hier sehr behutsam und kontrolliert vor – wägen Vor- und Nachteile genau ab.
IVVA: Zwischenfrage, die dazu passt: DORA, der „Digital Operational Resilience Act“ wurde 2022 beschlossen, trat mit 17.1.23 in Kraft und muss seit 16.1.2025 angewendet werden. Wie bereiten Sie Ihr Haus auf DORA vor? Denn: Im Gegensatz zu anderen Verbänden sind wir beim IVVA überzeugt davon, dass DORA auch den einzelnen Berater/ Vermittler treffen wird. Etwa weil die Produktgeber genaue Vorgaben machen werden müssen, wie man aufgestellt sein muss, um als Vermittler künftig mit dem Versicherer, der Wertpapierfirma, der Bank etc. zusammenarbeiten zu dürfen. Ich denke, schon alleine deshalb, um z.B. im Hacker-Angriffsfall nicht vorgeworfen zu bekommen, man habe die Sorgfaltspflichten verletzt, etc. Wie sehen Sie das?
Und wie planen Sie die Vermittler einzubinden? Was werden Vermittler bei sich, ihren Systemen tun müssen, um künftig weiterhin mit Ihnen zusammenarbeiten zu können?
Mag.a Eder, ARAG: Bei DORA geht es im Wesentlichen um die Betriebsstabilität der vom Versicherer eingesetzten IT-Systeme. Unsere Vertriebspartner und Kunden sollen sich darauf verlassen können, dass wir auch bei Störungen kontinuierlich hochwertige Finanzdienstleistungen erbringen können. Davon sind auch kritische Drittanbietersysteme erfasst. Da die ARAG Österreich Teil des ARAG Konzerns ist, der insgesamt in 19 Ländern vertreten ist, wird das Umsetzungsprojekt bei uns zentral gesteuert. Das ist für uns eine große Erleichterung, da wir uns als Gruppe gemeinsam dieser großen Herausforderung stellen.
Versicherungsvermittler sind bei einem bestimmten Umsatz oder ab einer Mitarbeiteranzahl vom DORA Scope umfasst. Das wird aber nur einige wenige Unternehmen in Österreich treffen. Davon unabhängig ist die IT-Sicherheit immer schon ein wichtiges Thema bei der ARAG Österreich gewesen und bestimmte Maßnahmen haben auch Auswirkungen auf unsere Vermittler. So achten wir zum Beispiel auf eine zeitgemäße Verschlüsselung beim E-Mailversand und haben diesbezüglich diejenigen Vermittler kontaktiert, bei denen dies nicht gewährleistet war. Weiters haben wir die Multi-Faktoren-Authentifizierung bei unserem Vermittlerportal eingeführt. Ich schließe daher nicht aus, dass aufgrund laufender Resilienz Tests weitere Maßnahmen zur IT-Sicherheit getroffen werden müssen, die auch für unsere Vertriebspartner Wirkung entfalten.
Nächste Woche erfahren wir mehr über neue Produkte, neue Konditionen und die aktuelle Konvertierungsaktion mit Konvertierungstool – mit drei Klicks zum neuen Vertrag.